Strukturierte Tumordokumentation am Beispiel des Onkologie-Informations-Systems Niederösterreich

Das niederösterreichische Onkologie-Informations-System (OIS) ist mit seiner fächerübergreifenden Dokumentation der gesamten Krankheitsgeschichte onkologischer PatientInnen eines der aussagekräftigsten Systeme seiner Art im deutschsprachigen Raum. Es ist einfach in der Handhabung, wird stetig weiterentwickelt und bietet allen beteiligten UserInnen den gesamten Krankheitsverlauf eines Patienten bzw. einer Patientin im Überblick. Niederösterreich verfügt über 27 Klinikstandorte. Das OIS wurde im Jahr 2015 nach einer europaweiten Ausschreibung in 24 niederösterreichischen Universitäts- und Landeskliniken eingeführt. Seit dem Abschluss des Rollouts am 31. Dezember 2018 kommt das OIS interdisziplinär als Dokumentationstool zur Anwendung und repräsentatiert das gesamte onkologische Geschehen in Niederösterreich. Die zu dokumentierenden Bereiche umfassen chronologisch und in strukturierter Form alle Informationen zur Ersterkrankung (z.B. Erstdiagnose, Tumorlokalisation, Tumortyp, Komorbiditäten), zu diagnostischen Verfahren und deren Befunden (z.B. CT, MRT, Biopsie, Histologie, Labor), zu Therapien (z.B. Operationen, systemische Therapie, Radiotherapie), zu Rezidiven, weiteren Tumoren, Metastasen, Genesung oder Tod. Die Befüllung des Systems ist sehr userfreundlich und orientiert sich am Krankheitsgeschehen der PatientInnen.

Ein wesentlicher Teil der OIS-Funktionalität ist die komplette Organisation des Tumorboards, von der Anmeldung und Durchführung bis zur Protokollierung. Jede/r PatientIn wird über das OIS in das Tumorboard eingemeldet. Aus den vorhandenen, bereits in der klinischen Dokumentation eingetragenen Informationen generiert sich im Hintergrund das Tumorboardprotokoll. Dieses steht allen TumorboardteilnehmerInnen zeitnah zur Verfügung und wird zusätzlich an das Krankenhausinformationssystem der Kliniken über eine Schnittstelle übermittelt. Kliniken, die über kein eigenes Tumorboard verfügen, können ihre onkologischen Fälle im OIS in ein entsprechendes Tumorboard einmelden und sich dann virtuell zu dem Tumorboard dazuschalten. Fachexpertisen, die es nicht an allen Standorten gibt – etwa Strahlentherapie oder Pathologie – werden über Videokonferenzen in allen Kliniken bereitgestellt.

Zusätzlich zum Tumorboardprotokoll wird der onkologische Ambulanzbericht als zweites wesentliches Arbeitsdokument in die Krankenhausinformationssysteme der Kliniken übertragen.

Durch die Entwicklung des OIS sind große Vorteile und Nutzen für Patien­tInnen und die Medizin erkennbar: Da es webbasiert angewendet wird – das OIS besitzt eine zentrale Anbindung im Rechenzentrum der NÖ Landesgesundheitsagentur –, können alle am Behandlungsprozess beteiligten ÄrztInnen der NÖ Universitäts- und Landeskliniken in dieses System Einsicht nehmen und auch dokumentieren. Wechseln PatientInnen das Klinikum zu bestimmten Diagnostiken oder Therapien, kann die Dokumentation an jedem Standort nahtlos weitergeführt werden. Die Tumorboardempfehlung ist transparent im OIS dargestellt, wobei mittlerweile jede/r KrebspatientIn in Niederösterreich in einem entitätsspezifischen Tumorboard vorgestellt wird. Das bedeutet eine enorme Qualitätsverbesserung zu den Vorjahren, in denen weniger als die Hälfte aller Tumorneuerkrankten einem Tumorboard zugeführt wurde.

Wie war die Ausgangslage vor Implementierung des Onkologie-Informations-Systems?
Welche Lernkurve erfordert die Installation eines digitalen Patientenaktes? Ausgangslage war das Ziel, für alle niederösterreichischen Kliniken eine gemeinsame Tumordokumentation zu etablieren. Nach einer Markterkundung und Planungsphase wurde im Jahr 2013 ein EU-weites Vergabeverfahren durchgeführt. Im Herbst 2014 wurde das OIS am ersten Klinikum in Betrieb genommen und es folgte ein zweijähriger Rollout zur Umsetzung an allen 18 onkologisch tätigen Klinikstandorten. In dieser Zeit wurden pa­rallel die Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Betrieb der ersten Kliniken aufgenommen. Für die Nutzung des OIS im täglichen klinischen Betrieb wurden Verbesserungen identifiziert und in der Software umgesetzt. Eine große Herausforderung war die Abhaltung der Schulungen, in denen nicht nur die technische Verwendung des Systems, sondern insbesondere auch die organisatorischen Änderungen (z.B. Tumorboardorganisation, strukturierte Erfassung von Befundergebnissen) vermittelt und vertreten werden mussten.

Was zählt zu den besonderen Herausforderungen?
Da aufgrund der unterschiedlichen Krankenhausinformationssysteme, die in den niederösterreichischen Kliniken derzeit im Einsatz sind, keine vollständige Integration mit dem OIS möglich ist, ist ein hoher Zeit- und Ressourcenaufwand zur Sicherstellung einer durchgängigen Dokumentationsqualität gegeben.

Stichwort Qualitätssicherung: Wie wird die Qualität der Eingabe geprüft? Wie valide sind darauf basierende statistische Aussagen (z.B. TNM-Staging)?
Ein Qualitätssicherungsteam prüft laufend die Falldokumentationen und gibt den ÄrztInnen Feedback, wenn Ergänzungen erforderlich sind. Die dadurch erreichte Datenqualität gewährleistet eine hohe Validität der statistischen Aussagen.

Ist Datenschutz gewährleistet?
Datenschutz ist gewährleistet, da ÄrztInnen nur landesintern und für ihre zu behandelnden PatientInnen Berechtigungen haben.

Was muss eine Landesgesellschaft beachten, wenn man dieses Projekt umsetzt?

  • Hohes Engagement in der Projektleitung
  • Bewusstsein, dass so ein Projekt einer permanenten Qualitätskontrolle bedarf, damit die Vollständigkeit gewährleistet werden kann
  • Zeit und Ressourcen für Qualitätssicherung
  • Enge und stetige Kommunikation sowie Einbindung aller ÄrztInnen in Weiterentwicklungen und Neuerungen
  • Bereitstellung von Dokumentationsunterstützung in den Kliniken

Das OIS bietet eine weitgehend lückenlose Erfassung des gesamten Verlaufs der onkologischen Erkrankung eines Patienten bzw. einer Patientin. Sämtliche Diagnostiken und Therapien sind in chronologischer Abfolge dargestellt. Da hier ausschließlich die onkologische Erkrankung betrachtet wird, steht diese – im Gegensatz zu anderen Krankenhausinformationssystemen (wie SAP, MPA, PatiDok) – fokussiert zur Verfügung. Ein zusätzlicher Benefit ist die fächerübergreifende Dokumentation, da alle Befunde zu einem Patienten bzw. einer Patientin in diesem System zusammengeführt werden. Zahlreiche Weiterentwicklungen halten das OIS stets am aktuellen Stand, wobei neu erforderliche Dokumentationsbereiche sehr zeitnah implementiert werden können.

Das OIS garantiert die lückenlose Übermittlung aller meldepflichtigen Tumordaten an das Österreichische Nationale Krebsregister bei der Statistik Austria. So können die gesetzlich vorgeschriebenen Krebsregistermeldungen ohne zusätzlichen Dokumentationsaufwand als Routinedaten an die Statistik Austria gesendet werden. Besonders wichtig ist dabei die enge Zusammenarbeit mit und die Plausibilitätssicherung durch das Österreichische Nationale Krebsregister, da das OIS als Verlaufsdokumentation im klinischen Routinebetrieb noch nicht dieselben Plausibilitätsprüfungen leisten kann wie das Register.

Die Daten, die an das bundesweite Brustkrebs-Früherkennungsprogramm gemeldet werden müssen, sind ebenfalls zur Gänze im OIS abgebildet. Die relevanten medizinischen Parameter werden durch einen Datenexport aus dem OIS an die entsprechenden Stellen übermittelt. Es besteht zudem die Möglichkeit, Datenexporte für weitere Register durchzuführen. Seit Kurzem sind im OIS auch alle relevanten Daten für das Klinische Tumorregister Österreich für gynäkologische Tumoren an der Tirol Kliniken GmbH abgebildet. Die Daten zu den gynäkologischen Tumoren (Zervix-, Endometrium- und Ovarialkarzinom) werden regelmäßig an die Tirol Kliniken GmbH übermittelt. In naher Zukunft werden auch der Forschungsaspekt und die Kooperation mit der NÖ Karl Landsteiner Privatuniversität von großer Bedeutung sein.

Neben den nach OnkoZert bzw. DocZert bereits zertifizierten Brustgesundheitszentren im Landesklinikum Wiener Neustadt (dem ersten zertifizierten Zentrum in Niederösterreich), im Universitätsklinikum St. Pölten und im Landesklinikum Mistelbach-Gänserndorf zertifizieren sich in Niederösterreich zunehmend mehr Abteilungen in weiteren Bereichen, so z.B. das Thoraxzentrum sowie das uroonkologische Zentrum im Universitätsklinikum Krems und das Darmkrebszentrum im Landesklinikum Wiener Neustadt. Im OIS sind alle zertifizierungsrelevanten Parameter für diese Abteilungen enthalten, sodass eine jährliche Kennzahlenauswertung möglich ist. Das wäre ohne das OIS nicht in dieser Vollständigkeit und Qualität möglich.

Ein weiterer wesentlicher Aspekt, der dem OIS einen enormen Stellenwert verleiht, ist die Möglichkeit der Durchführung von Auswertungen und Analysen. Neben einfachen Fallzahlen und Kaplan-Meier-Kurven lassen sich mit dem OIS auch komplexe Fragestellungen mit hohem Detaillierungsgrad auswerten. Das OIS kann also aufgrund der strukturierten Dokumentation aus medizinischen Informationen verwertbare Daten generieren und bietet somit vielfältige Möglichkeiten, Daten auszuwerten, Wissen zu entwickeln, Zusammenhänge zu erkennen, Neues zu lernen, Ergebnisse zu reflektieren und so den Outcome zu verbessern.

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für das OIS ist die onkologische Dokumentationsqualität. Zum einen werden die Daten/Verläufe/Informationen von den ÄrztInnen bzw. vom Dokumentationspersonal eingegeben, zum anderen wird pro Fall von einem OIS-Qualitätssicherungsteam überprüft, ob jede/r einzelne PatientIn valide, plausibel und lückenlos dokumentiert wird. Auf diese Weise werden pro Quartal Daten von ca. 6.500 PatientInnen dokumentiert und kontrolliert. Eventuelle Auffälligkeiten werden pro Abteilung an die zuständigen Bereiche mit dem Ersuchen, die fehlenden Informationen nachzutragen, ausgesendet. Diese Arbeit der Qualitätssicherung ist sehr aufwendig, doch sie ist der Erfolgsfaktor dafür, dass das OIS nahezu lückenlos mit allen wichtigen und therapierelevanten Informationen befüllt wird. Ohne eine gesicherte Dokumentationsqualität ist keine repräsentative Datenauswertung möglich. Eine OIS-Expertengruppe, bestehend aus FachärztInnen der Bereiche (Hämato-)Onkologie, Pneumologie, Radiologie, Radioonkologie und Chirurgie, beschäftigt sich eingehend sowohl mit der inhaltlichen und medizinischen Weiterentwicklung des OIS – jeder neue Mutationsparameter, jeder neue Therapiewirkstoff muss zeitnah hinterlegt werden – als auch mit organisatorischen Aspekten, Erkenntnissen in der Medizin und Auswertungen.
 

Birgit Grünberger